Der Weg in den Westen – Michael Peter

 

384 Seiten, Hardcover, ISBN 3-89784-176-2, AGON-Sportverlag

 

 

Seit der Wende im November 1989 sind zahlreiche Spieler aus der DDR im Westen Deutschlands „untergekommen“, um in der Bundesliga ihre Brötchen zu verdienen.

Das vorliegende Buch dokumentiert in des Wortes wahrster Bedeutung sämtliche 118 Einzelschicksale der wechselfreudigen ostdeutschen Kicker. Die 61 Spieler, welche zum Abschluss der Recherchen des Autors Ende 2000 mindestens 60 Erstligaspiele aufzuweisen hatten, wurden textlich sehr ausführlich behandelt, die übrigen 67 in einem umfangreichen Statistikteil.

„So wie der Mauerfall für uns ein Glücksfall war, geriet er für die Jugendförderung im Osten und für nachrückende Fußballgenerationen zur Katastrophe…. So paradox es klingt, der WM-Titel 1990 hatte für die Nachwuchsarbeit in Deutschland negative Folgen, weil er allen die Sicht vernebelte.“ – diese dramatische Einschätzung traf kein Geringerer als Hertha-Profi René Tretschok in seinem Vorwort zu diesem Buch.

Autor Michael Peter, freier Journalist und Stadionsprecher beim FC Stahl Riesa, früher u. a. auch bei Radio PSR und Radio Energy Chemnitz tätig, stellt in seinem Werk in lockerer Erzählform die Werdegänge der DDR-Kicker vom ersten Verein bis zum gegenwärtigen Bundesligaalltag dar. Beeindruckend das enorme Detailwissen und die statistischen Bewertungen. So spielten nur 9 Prozent der jetzigen Erstliga-Spieler früher mal in ostdeutschen Teams, während Rudi’s „Nationale“ es auf immerhin 33 % Ostkickeranteil bringt. Und Bayer 04 holte die meisten Ossis (16) aller Bundesligavereine, davon ist allerdings allein Ulf Kirsten, zweimal BL-Torschützenkönig, noch aktiv dabei. 25 ehemalige Ossis schafften den Sprung in die Nationalelf (alphabetisch-chronologisch gelistet von Ballack bis Zickler).

Die eigenen Erfahrungen beim Umzug beschreiben einige Kicker selber. So berichtet Jürgen Rische von einer „viel intensiveren Saison-Vorbereitung, ich weiß nicht, ob das für die 26 Oberligaspiele überhaupt nötig war“ und „dagegen ist der Medienrummel, die psychische Belastung bei Training und Wettkampf sowie der Konkurrenzkampf in der Bundesliga deutlich größer als in der eher beschaulichen DDR-Oberliga“.

Übrigens, zusammen mit Jürgen Rische sind es genau 20 Spieler in so genannten „Westvereinen“, die zuvor mal für den 1. FC Lok und den VfB Leipzig gespielt haben – Bundesliga-Leistungszentrum Leipzig, oh, wie wär das schön, alle mal hier in einem Bundesligateam zu seh´n!

Hier die gesamte Namensliste im Überblick:

Dirk Anders, Nico Däbritz, Henri Fuchs, Bernd Hobsch, Daniel Hoffmann, Maik Kischko, Mario Kern, Thorsten Kracht, Matthias Mauksch, Olaf Marschall, Ulf Mehlhorn, Thomas Rath, Burkhard Reich, Jürgen Rische, Frank Rost, Uwe Rösler, Heiko Scholz, Jan Seifert, Florian Weichert, Uwe Weidemann.

Auch den „illegalen“ Vorwende-Wechslern ist im Buch ein eigenes Kapitel gewidmet, und für die Souvenir-Sammler ist da so manche Spielerflucht von Lippmann, Eigendorf, Nachweih & Co. auch mit dem Nichterscheinen der Programmhefte zu den dann folgenden OL-Spielen verbunden gewesen, einfach weil der schon vorgedruckte Spielername nicht mehr in den offiziellen Teamaufstellungen erscheinen durfte.

Auch die Praxis der Kinder- und Jugendsportschulen wird ausführlich erläutert, so gab es auch für unter den Leistungszentren Berlin, Magdeburg, Lok Leipzig und Dresden stehende Vereine wie Stahl Brandenburg, Chemie Leipzig oder Wismut Aue so genannte Trainingszentren (TZ), die meist in Eigenorganisation eine gleiche Nachwuchsförderung mit schulischer Ausbildung ermöglichten.

 

Fazit: Vor uns liegt ein sehr umfangreiches Werk über die teils dramatischen Spielerwechselwirren in der Wendezeit 89/90 von Ost nach West-Deutschland.

Und das nicht nur aus rein fußballerischer, sondern mehr noch aus historischer Sicht.

 

© Reinhard Teschner, Leipzig