Bullimania in LE

 

Es ist das Reizthema bei den Fußballfans im Leipziger Raum: Der Österreichische Getränkemulti Red Bull will in die Fußballszene Deutschlands einsteigen, mit einer „feindlichen Übernahme“ der Spielrechte des SSV Markranstädt. Dazu passte die Neugründung eines neuen „Retortenvereins“, mit dem (un-) sinnigen Namen „Rasenball“ Leipzig - nur um den direkten Namenszug juristisch zu verschleiern.

Das „RB“ soll künftig zunächst in der nordostdeutschen Oberliga ins Rennen geschickt werden, natürlich geht es da nur um den Meistertitel. Was das für die beiden Leipziger Traditionsvereine LOK und Chemie bedeutet, kann nur erahnt werden. Viele Fans dort sind in Alarmstimmung, sehen ihre Clubs nun gleich für lange Zeit weiter in den unteren Klassen herumdümpeln. Die hiesige Lokalpresse springt dazu auf diesen „Marketingzug“ genüsslich auf, der Boulevard ist entzückt von den Roten Bullen, nicht erst seit der Vettel-Show im Formel 1 - Zirkus.

Geld, Quote, Sensationen - diese Dinge sind wohl das Maß für das Maßlose in der heutigen Zeit. Dass der Fußball, erwiesenermaßen schon immer Gradmesser der Gesellschaft, diese charakterlichen Auswüchse nun auch in Form von „Plastikvereinen“ aushalten muss, ist eigentlich nur logisch. Der eigentliche Skandal ist die Wirkung von Verbandsfunktionären im Hintergrund für ein solches Kontraprodukt, wider jeglicher Fairness und Tradition im Volkssport Nummer Eins. Was da so öffentlich wird dieser Tage, lässt dunkle Machenschaften erahnen und erkennen - Geld regiert die Welt, anscheinend auch in diesen verbandelten Kreisen.

Nun, Vorsicht und Beachtung ist schon geboten bei den Fans in Leutzsch und Probstheida. Das jahrelange Motto „Es kann nur Einen geben“ kann’s eben doch nicht sein. Das Leipziger Fußballspielrecht darf nicht so einfach (über Markranstädt) an einen „Auswärtsverein“ fallen. Es hilft eigentlich nur, wenn man sich selber hilft, Fans und Freunde mobilisiert, sich auf seine eigenen traditionellen Stärken besinnt, ehrlich miteinander umgeht. Die Aufgabe beiderseits muss sein, wettbewerbsfähige Mannschaften zur kommenden Saison zu stellen - das eigentliche Maß aller Dinge. Dann werden die jetzt so hochgepuschten „Rasenbälle“ ganz schnell zu  Hasenfüßen - und das Weite suchen!

Reini

 

+++ PRESSESCHAU +++

 

 

Träume und Schäume

Sie sind verunsichert beim SSV Markranstädt. "Wir tappen völlig im Dunkeln", sagt der Platzwart. Vielleicht bringen die ja einen neuen Platzwart mit, einen besseren, einen echten Profi, fürchtet er. "Dabei ist unser Rasen eigentlich tipptopp." Die - das sind die Leute von Red Bull. Angeblich will der Brauseproduzent aus Österreich groß in den Leipziger Fußball einsteigen. Den SSV Markranstädt haben sie sich ausgeguckt, eine Oberligamannschaft mit nur einem Fanclub, den Blue Boys. Das sind acht, neun Anhänger, "aber ob die mit Red Bull weitermachen, bezweifle ich", sagt Sven Scholz. Geplant ist eine Komplettübernahme. Der SSV würde mit einem Happs geschluckt werden. Der Verein, der in drei Jahren sein Hundertjähriges feiert, würde den Brausemillionären das Spielrecht für die Oberliga spenden. Der SSV hieße dann, wahrscheinlich erst ab der Saison 2010, Rasenball Leipzig, RB wie Red Bull. Das wäre so wie damals beim LR Ahlen, der hieß offiziell Leichtathletik und Rasensport Ahlen, doch standen die Initialen für ein Kosmetikunternehmen.

"Wir sind gespalten", sagt der Platzwart, "wenn die kommen, dann wäre alles weg, was Kultur ist." Die Fußballkultur beim SSV ist nicht so groß, richtig hochklassig haben sie nie gespielt, die Kicker aus Markranstädt. Viel größer ist die Geschichte beim FC Sachsen Leipzig und bei Lokomotive, doch Red Bull dürfte es nicht ungelegen kommen, dass sie sich nicht mit der Last der Historie abplagen müssen, sondern die Herren im Haus sind, wenn sie ihren Masterplan verwirklichen wollen. Der Platzwart meint, dass die "Fanklubs von Sachsen und Lok alles abgeblockt hätten", und liegt damit völlig richtig. Ganz bewusst haben die Manager von Red Bull die Traditionsvereine gemieden - und eine Tingeltour durch die Vorstädte unternommen. Sie haben beim Zipsendorfer Fußballclub Meuselwitz e. V. angeklopft, bei Blau-Weiß und Eilenburg. Dass es letztlich Markranstädt werden könnte, das entbehrt in der an Insolvenzen, Irrungen und Wirrungen reichen Leipziger Fußballgeschichte nicht einer gewissen Komik.

Doch aus dem Kleinklub am Rande der Messestadt soll ein Großklub werden, ein Verein, der das Zentralstadion füllt. Die Arena würde dann auch von den Getränkeleuten okkupiert, sie wollen sich angeblich die Namensrechte am Stadion, der Sporthalle in der Nähe und Festwiese sichern. Unterschrieben ist freilich noch nichts, alle warten sie auf die verbindlichen Verträge. Falls es zum Kontrakt kommt, würde die Getränkedose mit dem Bullen überall zu sehen sein. Ob jemals guter Fußball zu sehen sein wird, das ist ungewiss. Ein gewisser Mo Melzer im "Fan-Forum" des SSV Markranstädt sieht eine "ungewisse Zukunft" hereinbrechen und trauert jetzt schon um seinen "kleinen, feinen Verein", der den "unfähigen Machern von Leipzig" zum Opfer falle. Dirk Sander, Pressesprecher von Lokomotive Leipzig, sagt: "Lok hat große Skepsis." Er findet es nicht nachvollziehbar, "was da jetzt gehypt wird", vor allem die regionalen Zeitungen überschlügen sich geradezu. "Dabei hat Leipzig seine Erfahrungen mit großen Mäzenen und dem schnellen Erfolg gemacht", sagt er. Er meint: sehr negative Erfahrungen. "Man sollte gewarnt sein vor solchen Retortenprojekten. Die sind auf Sand gebaut." Er glaubt nicht, dass der längerfristig angelegte Plan der Österreicher aufgeht. "So etwas macht nur den Fußball kaputt, sehen Sie sich Austria Salzburg an." Der dortige Verein ist in der Hand von Dietrich Mateschitz, dem Boss von Red Bull, die echten Fans haben sich von Red Bull Salzburg abgewendet und die lilafarbene Austria neu gegründet. Unterklassig feiert die Basis sich selbst und den reinen Fußball, ganz oben feiert Mateschitz den Meistertitel.

Vom Erfolg und einem im Glanz erstrahlenden Leipzig träumt auch Winfried Lonzen, 64, Immobilienverwalter aus Köln. Er sitzt im Vorstand des insolventen FC Sachsen und fungiert gleichzeitig als Chef der Betreibergesellschaft des Zentralstadions, ist ein Hintermann vom Michael Kölmel, dem Stadioneigner. "Schönes Stadion und grottiger Fußball, damit könnte es bald vorbei sein", sagt Lonzen. "Wir haben jetzt eine tolle Chance." Lonzen klingt müde, seine Worte, die Euphorie vermitteln sollen, passen nicht zu seiner Stimmung. Vielleicht liegts daran, dass sich die Verhandlungen mit Red Bull länger als erwartet hinziehen. Bereits am Dienstag sollte alles klar sein, jetzt verspricht Lonzen, dass es noch in dieser Woche klappen könnte. Schade findet er es, dass sich Red Bull nicht, wie schon einmal geschehen, an den FC Sachsen wendet, sondern an einen Leipziger Kleinklub. "Ich habe versucht, den FC Sachsen mit ins Spiel zu bringen, aber die wollten keinen Traditionsverein, sondern den dritten Weg." Der dritte Weg sei der einzige Weg, sagt Lonzen, "um in Leipzig auf absehbare Zeit Profifußball zu etablieren". Eine Fusion von Lok und Sachsen hätte auch etwas bewirken können, glaubt er, aber da die Feindschaft zwischen diesen beiden Klubs zu groß ist, müsse eben nun diese Variante her: die rein ökonomische. Lonzen würde sogar so weit gehen, die Jugendabteilung, "die unheimlich viel Geld verschlingt", an RB Leipzig zu verscherbeln, denn "die Traditionsvereine sollten in irgendeiner Form mit Red Bull kooperieren". So ergebe sich für alle eine "Win-win-Situation".

(Quelle: "taz" vom 03.06.2009 - von Marcus Völker)

 

 

RB wie Rasenball – und wie Red Bull

Die Umfrage dauert schon eine Weile, ehe die erste kritische Stimme zur Revolution fällt. «Wozu brauchen wir noch Regeln, wenn sie nicht eingehalten werden?», fragt Steffen Kubald. Er ist Präsident des 1. FC Lokomotive, des zurzeit erfolgreichsten Fußballklubs in Leipzig. «Lok» ist nach einer Neugründung aus der elften bis in die fünfte Liga gestürmt, dort könnte der Aufschwung nun enden. Der österreichische Getränkehersteller Red Bull will den Leipziger Fußball erobern, für kleinere Vereine wie «Lok» könnte kein Platz mehr sein, unabhängig von Tradition oder Nachwuchsförderung.

Red Bull plant den Einstieg in Leipzig seit Jahren, zunächst im FC Sachsen, der zu DDR-Zeiten BSG Chemie hieß. Das Engagement scheiterte an Fanprotesten und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), der einem Konzern nicht so viel Macht überlassen will. Nun will das österreichische Unternehmen den SSV Markranstädt übernehmen, die Verhandlungen stehen unmittelbar vor dem Abschluss. Der Vorortklub, heißt es, übertrage sein Spielrecht in der fünftklassigen Oberliga an den gerade gegründeten Rasenball e.V. Leipzig. Dessen Abkürzung RB würde eine Verbindung zum Hauptsponsor herstellen, für Steffen Kubald ist diese Namensgebung «sehr fragwürdig. Andere Vereine sind mit einer solchen Verquickung an den Verbänden gescheitert.»

Jenseits der vierten Liga müssen sich Vereine nicht mit dem Lizenzierungsverfahren des DFB herumärgern. Red Bull hat freie Bahn für ein Fußballmarketingprojekt, das sogar die Abhängigkeit des VfL Wolfsburg von Volkswagen und der TSG Hoffenheim von Milliardär Dietmar Hopp in den Schatten stellen könnte. Das Salzburger Unternehmen wolle eine regionale Verankerung herstellen, Vertreter des Leipziger Amateursports glauben jedoch, dass Trainer, Manager, Spieler aus der Ferne kommen. «Der Einstieg kommt einem Quantensprung gleich, wo es vorher Millimeter voranging», sagt Klaus Reichenbach, der Präsident des sächsischen Fußballverbandes. «Wir müssen aber aufpassen, dass es zu keiner Wettbewerbsverzerrung kommt.»

In Österreich ist Red Bull Salzburg eben zum zweitem Mal Meister geworden, gespielt wird in der Red-Bull-Arena, über den Vorgänger SV Austria spricht niemand mehr. In Leipzig könnte der Konzern ähnlich vorgehen. In der kommenden Saison soll Rasenball im kleinen «Stadion am Bad» spielen. Ab 2010 steht der Wechsel ins Zentralstadion an, die WM-Arena von 2006, die mit vielen Steuermillionen finanziert wurde.

Der ehemalige «Kinowelt»-Chef Michael Kölmel hat Interesse an einem Verkauf der Namensrechte der Arena an Red Bull signalisiert, dazu gehören nebst dem Stadion eine Multifunktionshalle und eine Festwiese. Über Jahre hatte er Millionen in den FC Sachsen investiert, der im Zentralstadion vor wenigen Zuschauern spielte. Im Frühjahr musste der Klub zum zweiten Mal Insolvenz anmelden; nun könnte Kölmel doch noch zum Profi- und Profitfußball gelangen. «Das alles wird noch größer und sensationeller, als Sie denken», sagte er der «Leipziger Volkszeitung».

Wieder sind Lobeshymnen in einer Stadt zu hören, die seit der Wiedervereinigung viele Enttäuschungen im Fußball verarbeiten musste: Vertreter aus Medien, Politik und Wirtschaft wollen zu den Grossen gehören, so wie in Tourismus oder Kultur. Wird es Red Bull leicht haben, einen Spitzenklub aus dem Boden zu stampfen? In Leipzig, wo viele Zuschauer entweder zu Lok oder zum FC Sachsen halten und gegenüber Fremden eine skeptische Grundhaltung pflegen? Kritische Fragen werden kaum gestellt: Wie garantiert Red Bull eine nachhaltige Nachwuchsarbeit, wo sollen die Teams trainieren, ist Leipzig das Schaufenster für Salzburger Reservespieler, und was passiert, wenn das Unternehmen keine Lust mehr hat? Holger Nussbaum, Sponsor und Manager des SSV Markranstädt, hat weniger Bedenken: «Wir sind kein Retortenverein, den SSV Markranstädt gibt es seit bald hundert Jahren. Red Bull hat einen langfristigen Plan. Das ist eine große Chance für Leipzig.» Es ist nicht das erste Mal, dass solche Worte in Sachsen eine Revolution ankündigen. Am Ende blieb alles wie immer: enttäuschend.

(Quelle: "Neue Zürcher Zeitung" vom 03.06.2009 - von Ronny Blaschke)

 

 

Lok vertraut Seydler und kritisiert Verband

Jörg Seydler wird vom Interims-Coach zum Cheftrainer des 1. FC Lok befördert, Sturm-Talent Norris Höhn liebäugelt mit Rot-Weiß Erfurt, die Probstheidaer Klubführung kritisiert die Rolle des Sächsischen Fußball-Verbandes (SFV) beim Einstieg von Red Bull in Markranstädt.

Nach dem letzten Oberliga-Spiel am Sonntag gegen den noch um den Klassenerhalt kämpfenden FC Eilenburg (13.30 Uhr, Plache-Stadion) wird Lok verkünden, was inzwischen als offenes Geheimnis gilt: Jörg Seydler, 52, bleibt Trainer. Gestern gab’s dazu keine Bestätigung, aber auch kein Dementi.

Klar ist: Nach dem Abpfiff wird mit den Fans gefeiert. „Wenn man als Aufsteiger mit einer jungen Truppe Dritter wird, ist das eine erfolgreiche Saison“, sagt Lok-Vorsitzender Steffen Kubald. Unklar ist noch, wie viele Zuschauer ins Stadion dürfen. Laut Verbandsgericht nur 2000, auf einen Protestbrief der Stadt antwortete der DFB bislang nicht. „Aber wenn uns die Polizei anweist, alle Fans reinzulassen, weil eine Panik droht, müssen wir das tun“, erklärt Aufsichtsrats-Chef Frank Müller.

Auf Lok wartet viel Arbeit: Die Modernisierung des Stadions für 7000 Zuschauer, der Gerichtsprozess mit Ex-Trainer Rainer Lisiewicz, der Aufbau eines neuen Teams. Neben Holger Krauß und Rico Engler (Kubald: „Wahrscheinlich können wir ihn nicht halten, obwohl er noch über unser Angebot nachdenkt“) könnte auch Norris Höhn gehen, den Drittligist Erfurt lockt.

Angeblich hat Lok etliche Verstärkungen im Visier, doch Kubald mag weder Namen nennen noch einen Saisonetat oder ein Saisonziel: „Wir müssen erst sehen, was in Markranstädt passiert, werden aber den Kopf nicht in den Sand stecken, wollen mittelfristig weiter nach oben.“ Lok, mit 1600 Mitgliedern hinter Dynamo Dresden zweitgrößter sächsischer Fußball-Verein, wird bald eine neue Mitgliederkampagne starten. „Unsere Sponsoren und Fans bleiben treu, reagieren trotzig auf Red Bull“, meint Kubald, „aber es wird schwieriger, an neue Geldgeber zu kommen, weil viele jetzt abwarten.“

Der Lok-Chef bezeichnet die Unterstützung des SFV für Red Bull als „fragwürdig“, ebenso das Kürzel des neuen Vereins. „Bei RB denkt niemand an Rasenball, sondern jeder an Red Bull, hier werden bewusst Satzungen umgangen, da kann man auf Regeln bald ganz verzichten“, so Kubald. Befremdlich sei zudem, dass Sportgerichts-Chef Stephan Oberholz im Auftrag des SFV seit Monaten als „Geburtshelfer“ für RB agierte und dennoch bei einer Verhandlung gegen Lok den Vorsitz führte.

Volkhardt Kramer, Sportdirektor des VfB Auerbach und Vertreter der Vereine im Vorstand des Nordostdeutschen Verbandes (NOFV), denkt ähnlich: „Ich erwarte vom SFV mehr Objektivität, dass er sich da raushält.“ Dass der NOFV am 12. Juni über Red Bull debattieren will, irritiert Kramer: „Ich habe keine Informationen dazu.“ Angesichts der Millionen aus Österreich befürchtet er, „dass der Wettbewerb für ein Jahr ausgesetzt wird – Geld schießt eben doch Tore“. Verurteilen mag er das Projekt nicht: „Ich hätte so ein Angebot auch angenommen.“

(Quelle: "Leipziger Volkszeitung" vom 05.06.2009 - von Steffen Enigk)