+++ Meisterjubel in Stuttgart - der VfB gewinnt durch ein 2:1 gegen Energie Cottbus die Deutsche Meisterschaft! Und Locomotion war live dabei! +++

 

Stuttgart-Tour 2007     Fotos zur Tour

 

Wie jedes Jahr im Mai ging es auch 2007 zu einem verlängerten Wochenendtrip ins Schwäbische. Alex und sein Bruder aus der Nähe von Nürnberg besuchten Vater Jürgen in Stuttgart-Möhringen. Schon im Februar hatte dieser für uns alle Karten für das Bundesliga-Finale des VfB gebucht, Gegner sollte der FC Energie Cottbus sein. Damals dachte man, ja vielleicht geht es für den VfB noch um die Champions League. Und Cottbus wird als feststehender Absteiger im großen Daimler-Stadion erscheinen. Alles weit gefehlt…

Wie man den Ergebnissen des 33. Bundesligaspieltages entnehmen konnte, lag der VfB Stuttgart vor der letzten Runde volle zwei Punkte vor den immer wieder hoch gehandelten Königsblauen aus dem Revier. Die hatten ihr Derby beim BVB gerade voll gegen die gelbschwarze Wand gesetzt und mit dem 0:2 fast alle Titelchancen verspielt. Wahnsinn dieser VfB, mit dem 3:2 in Bochum – der eigentlichen Hölle im Revier – setzte er meisterliche Maßstäbe. Und unsere Crew versetzte er in völligen Meistertaumel, denn wer kann schon mal bei einem Deutschen Meister den Triumph an Ort und Stelle feiern? Also auf nach Stuttgart – gut so!

Am Himmelfahrtstag schüttete es wie aus Kannen, die Scheibenwischer von Alex’ Nissan hatten Schwerstarbeit zu leisten. Nach zwei Stunden erreichten wir das Frankenland, wo man Bruder Lutz zur Weiterfahrt einlud. In Stuttgart gab es dann drei Stunden später bei Jürgen das große Wiedersehen – und einen reichlich gedeckten Mittagstisch. Den Rest des Feiertags verbrachte man in lockerer Bierrunde mit der Auflistung der Oddset-Tipps fürs Wochenende. Im Wettbüro nebenan lief anschließend der Automat heiß, ja 15 Scheine sind schon eine Menge Holz im Papier…

Der Freitag wollte es so, dass wir mit dem Württemberg-Ticket zu 27 € eine größere Tour nach Ulm unternahmen. Pünktlich um 10:02 fuhr unser Interregioexpress aus dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Vorbei an herrlichen Tälern und markanten Fußballorten wie Geislingen (ja HSV-Fans, da war doch mal was im DFB-Pokal) rollte der Zug nach einer Stunde in der Universitätsstadt Ulm ein. Das Wetter hatte sich derweil richtig chic gemacht, nur leicht bewölkt und strahlende Maisonne. Die City beginnt hier gleich am Bahnhof. Durch eine kurze Shoppingmeile führte unser Weg daher direkt zum Wahrzeichen der Stadt, dem Dom. Ein beieindruckendes Bauwerk, das den höchsten Kirchturm der Welt besitzt – 161 m hoch. Aber die 768 Stufen hinauf wollten wir uns nicht antun, auch wenn man da aus 143 Metern sicher eine tolle Sicht gehabt hätte. Lieber noch an die Donau die Sonne genießen. Gegenüber lockte ein Biergarten an der frischen Luft. An der alten Stadtmauer vorbei ging es eine breite Brücke hinüber nach – Bayern. Ja, mitten auf dieser Brücke verlief die Landesgrenze zu Baden-Württemberg, der Ort gegenüber nennt sich Neu-Ulm. Was bedeutet, dass kühles blondes Bier hierzulande meist in Maßen ausgeschenkt wird. Nein, nicht zu wenig, sondern auf Wunsch literweise wird der Bölkstoff hier serviert. Nach ausgiebigem Genuss desselben, dazu gut bestückte Schnitzelteller, hieß es dann abtrainieren. Am besten weiter der Donau entlang - zum Donaustadion. Da, wo der SSV Ulm von 1846 zu Hause ist, man erinnere sich an die legendäre Bundesligasaison mit dem 0:9 gegen Leverkusen und der folgenden Talfahrt bis runter in die Oberliga. Dort kicken sie noch heute und sind doch noch ganz lebendig! In ihrer Liga spielen sie um den Aufstieg in die Regionalliga, es fehlt noch ein winziges Pünktchen. Mitkonkurrent SV Sandhausen muß nur noch einmal patzen, dann würde es noch klappen. All dies erfuhren wir von einer netten Dame aus dem VIP-Container. Deren Ehemann lud uns einfach so ein zu einer Runde Bier vom Sponsor – da waren noch vier Stunden Zeit bis zum Anpfiff des Spiels heute gegen Freiberg. Beide gehen in ihrem Verein völlig auf und kümmern sich ehrenamtlich um die Betreuung der Sponsorengäste. Zumindest müssen wir einen positiven Eindruck gemacht haben, wurden so heute zu „sehr interessanten Personen“. Unser Besuch wurde mit einer kleinen Foto-Session garniert, und der von mir in aller Kürze überlassene kleine LOK-Schlüsselanhänger fand große Beachtung. Ein tolles Erlebnis von Ulmer Gastfreundschaft! Die Zeit bis zum Anpfiff um 19:30 verging alsbald, am Schalter durfte man gegen einen Obolus für die Schiris auch aktuelle Programmhefte im A5-Format erwerben. Das Spiel gegen den SGV Freiberg endete übrigens 4:1, aber Sandhausen gewann am Samstag in Bahlingen auch, 2:0. Alles bleibt dort also spannend.

Mit der einzigen Straßenbahnlinie 1 fuhr man fünf Haltestellen weit zum Hauptbahnhof zurück und nach Auffrischung der Getränkevorräte per RE zurück nach Stuttgart. Dort unternahmen wir einen kleinen Rundgang durch das Zentrum hin zum Schlossplatz. Wo sich schon allerhand tat für die große Meistersause am nächsten Tag, die große Videowand leuchtete grell und die Bierstände waren bereits im Aufbau. Der große Tag konnte kommen!

 

Ein gemütliches Frühstück ist Gold wert, so ließen wir es uns mit frischen Bäckerbrötchen, Konfitüre und Aufschnitt bei einer kräftigen Tasse Kaffee gut schmecken. Mit Bus und Stadtbahn fuhren wir in der elften Stunde ins Zentrum. Da war schon jede Menge rotweißes Fußvolk unterwegs, überall sah man fröhliche, begeisternd feiernde VfB-Fans. Man musste sich förmlich durch die Massen kämpfen. Der gestern noch menschenleere Platz war inzwischen gut gefüllt, später am Abend sollten es ja noch Tausende mehr werden. In einer völlig überfüllten S-Bahn fuhren wir dann nach Cannstatt, dort konnte man noch was für die durstige Kehle einladen. Aber 1,60 € für eine 0,5 l Flasche sind auch nicht ohne, billiger aber als im Stadion. Sponsoren verteilten dort auch gleich große Meisterschalen aus Pappe. Sie konnten aber auf ihr Logo (Puma) einfach nicht verzichten, schade. Na, viele schnitten das Tier einfach aus dem Teller und setzten sich das Ganze auf, ein optimaler Sonnenschutz! Imposant das neue Carl-Benz-Center direkt links neben dem Daimler-Stadion. Dieses innovative Gebäude beherbergt neben dem neuen Fanshop auch Fanräume, zwei Gaststätten, ein Hotel und ein Reha-Zentrum. Es wurde erst im September vorigen Jahres eröffnet und hat wie viele Bauten dieser Art seine Stromhauptverteilung im Keller der Tiefgarage. Ungewöhnlich hier nur, dass die Schaltschränke dazu aus Sachsen kommen, gebaut von einer kleinen Firma aus und in Leipzig. Da kennt sich der Verfasser aus…

Unsere Tickets hatten ein gemeinsames Problem – sie wurden von den Scannern am Einlass ignoriert. Dies passierte anderen Besuchern aber auch, sodass sich am Ticketschalter eine Riesenschlange bildete. Der genervte Mensch dahinter schickte nach kurzem Erläutern („Computerfehler!“) die meisten wieder vor zum Eingang, wo die Barcodes der Tickets einfach abgerissen wurden. Dann durfte man endlich hinein und in die Cannstatter Kurve. Dort herrschte eine halbe Stunde vor Beginn schon ausgelassene Stimmung, die sich beim Einlaufen der beiden Teams noch steigerte. Fahnen und Schals wurden geschwungen, „Ole Ole ole o la, VfB Stuttgart!“ erschallte – und das Spiel lief. Der Verlauf ist bekannt. Als das Cottbusser Tor fiel, gab es ein vielstimmig hörbares Erschrecken. In Schalke werden sie gejubelt haben, durch ihr 2:0 gegen Bielefeld durften sie sich für kurze Zeit als Meister fühlen. Aber schon acht Minuten später zog „the hammer“ mal trocken ab und brachte die 56000 hier wieder zum Toben – das 1:1 reichte für die erneute Tabellenführung.

Die Pause nutzten alle zur Erholung, wir stärkten uns mit je einer „Roten“ (gebratene Bockwurst) am Imbissstand, zu 2,50 €. Der VfB wollte nun mit aller Macht den Sieg, schnürte die Gäste in ihrer Hälfte total ein. Schon nach acht Minuten wechselte Trainer Veh seinen Toptorjäger Mario Gomez ein, was Riesenbegeisterung auslöste. Das Siegtor dann natürlich noch mehr, es fiel nach gut einer Stunde. Jeder wusste, das lassen sich die Schwabenspätzle nicht mehr nehmen. Kurz vor Schluss aber nochmal tiefes Durchatmen, denn die Cottbusser hatten durch Rivic eine 100%ige, aber zentimeterknapp links vorbei. Dann endlich der Schlusspfiff, ein rotweißes Fahnenmeer auf den Rängen. Die Mannschaft erhielt die Schale und feierte ausgelassen auf dem Spielfeld. Meisterfoto im Konfettiregen und eine Riesenehrenrunde folgten. Dann sehr emotional die Verabschiedung des langjährigen Stammtorwarts Timo Hildebrand, der wohl nach Valencia wechselt. Die Meisterfeier im Stadion dauerte übrigens eine volle Stunde. Erst dann bewegten sich die Ersten aus den Blöcken und auch für uns war die Zeit des Abschieds gekommen. Über Lautsprecher wurde gesagt, dass man doch in der Nähe der Mercedesstraße bleiben sollte, da die City rund um die Fanmeile Schlossplatz komplett überfüllt sei. wir zogen nun erst mal zur nahen Tankstelle, wo sich mit Bier und Wasser versorgt wurde. Am Bahnhof Cannstatt wurde später lecker Gyros oder Currywurstsalat verzehrt. Dann ging’s weiter per Stadtbahn zum Hauptbahnhof, wo aber wirklich alles dicht war. Und weil wir daheim noch zwei Fässchen Krombacher zu liegen hatten, folgte die Rückfahrt mit U-Bahn und Bus. Überall feiernde VfB-Fans auf den Straßen, vor Ort gratulierten Bekannte unserem Gastgeber. Später im TV dauerte es geschlagene 3,5 Stunden ehe der avisierte Konvoi der Meisterelf endlich sein Ziel erreichte – den Schlossbalkon in der City. Wie die über 150.000 dann später weiterfeierten und heim gekommen sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Denn auch wir hatten eine lange Nacht, denn nach dem ZDF-Sportstudio folgten 90 Minuten eigene Fotos und Videos gucken. Die Meisterfeier entschwand allerdings recht bald im Reich der Träume…

Der Sonntag wurde zum ausgiebigen Relaxen genutzt, inklusive Vollverpflegung von unserem Gastgeber (Spaghetti Bolognese mit Kirschen im Vanillepudding!). Die Tour neigte sich leider nun wieder dem Ende zu, leider war’s auch nix mit den Wettscheinen. Alle für den Papierkorb, leider wie (fast) immer.

Ein großer Dank an  unseren Gastgeber – und den VfB - für dieses gelungene meisterliche Wochenende, wir kommen gerne wieder, keine Frage.

Reini

 

 

Die Spiele:

 

SSV Ulm 1846 - SGV Freiberg 4:1 (2:1)

Wichtiger Heimsieg für den SSV Ulm 1846: gegen den auswärtsstarken SGV Freiberg gewannen die Ulmer verdient mit 4:1 (2:1) und bleiben damit auf dem 1. Tabellenplatz (70 Punkte, 78:29 Tore). Nach zwei schnellen Toren von Miguel Coulibaly (8. Minute) und Gaetano Intemperante (19. Minute) konnte Freibergs Michael Schürk in der 29. Minute auf 1:2 verkürzen. Danach drohte das Spiel zeitweise zu kippen, doch Benjamin Barth stellte in der 55. Minute den Zwei-Tore-Abstand wieder her. Alles klar machte schließlich Enzo Marchese in der 61. Minute mit seinem Tor zum 4:1-Endstand.

(Quelle: http://www.ssvulm1846.de)

 

 

VfB Stuttgart gegen FC Energie Cottbus  2:1 (1:1)

Anstoß: 19.05.2007 15:30 – 1. Bundesliga

Gottlieb-Daimler-Stadion - Zuschauer: 56000 (ausverkauft) - Schiedsrichter: Stark (Ergolding)

0:1 Radu (19., Rechtsschuss, Vorarbeit Munteanu), 1:1 Hitzlsperger (27., Linksschuss, Pardo), 2:1 Khedira (63., Kopfball, da Silva)

(Quelle: www.kicker.de)

 

Fotos zur Tour

 

+++ PRESSESCHAU +++

 

VfB-Erfolgsduo Veh/Heldt auch im Feiern vereint

Auch in der Sekunde des Triumphes passte kein Blatt zwischen sie: Trainer Armin Veh umarmte Teammanager Horst Heldt nach dem Gewinn der deutschen Fußball-Meisterschaft innig. Dem Manager-Novizen des VfB Stuttgart galt der erste Dank des Trainers, der nach langen Umwegen in die erste Garde seiner Gilde aufrückte. «Es ist wichtig, als Team zu arbeiten. Einzelkämpfer, die Erfolg nur auf sich projizieren, werden keinen haben», lüftete «Zauber-Veh» ein Erfolgsgeheimnis der jüngsten Bundesliga-Mannschaft.

Während Veh wie immer nach dem Spiel erst einmal in den Stadionkatakomben seine Gedanken sammelte, blieb Heldt auf der Bank sitzen - ruhig, wie auch schon beim 2:1-Zittersieg gegen Energie Cottbus, der dem VfB den fünften Titel sicherte. «Ich war relativ entspannt, weil ich von der Qualität der Mannschaft überzeugt war», versicherte der 37-Jährige. Im Auftreten verbindlich-smart, schreckte der gelernte KFZ-Mechaniker aber auch vor harten Entscheidungen nie zurück.

Beim Wechsel vom grünen Rasen an den Schreibtisch zu Jahresbeginn 2006 noch als Manager-Lehrling verspottet, feuerte Heldt sogleich Trainer-Legende Giovanni Trapattoni und präsentierte Veh, den er von einer gemeinsamen Hospitanz kannte. Die beiden entsorgten die Altlasten von Felix Magath, Matthias Sammer und Co. und nahmen junge, unverbrauchte Spieler an Bord.

Im Gegensatz zu Heldt («Ich war immer von ihm überzeugt») schlug Veh im Verein offenes Misstrauen entgegen. Inzwischen bereut VfB- Aufsichtsratschef Dieter Hundt sein abwertendes Urteil von der «Übergangslösung» und kroch bereits mehrfach öffentlich zu Kreuze: «Damals konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass der VfB mit Armin Veh kurzfristig so erfolgreich sein könnte.» Noch im Sommer galt Veh als einer der ersten Kandidaten für einen Rauswurf.

Die Skepsis des mächtigen Arbeitgeberpräsidenten speiste sich auch aus den letzten, weniger glücklichen Trainerjahren des Armin Veh. Bei Hansa Rostock warf er selbst das Handtuch: «Das war der größte Fehler meiner Trainer-Karriere.» Der bayerische Schwabe weist immer gerne darauf hin, das der VfB-Coup nicht sein erster Titel war: «Nur kann man mit Reutlingen, Rostock oder Augsburg eben in der Bundesliga kein Meister werden.»

Der prinzipientreue Veh kennt die Mechanismen der Branche. Dazu gehört, dass er nur Einjahresverträge akzeptiert oder sich auch im Erfolgsfall nicht die Haare abschneiden lässt. An den Medienrummel hat sich Veh gewöhnt, anders als früher lässt er die Frage-Antwort- Runde gelassener über sich ergehen. Trotz oder gerade wegen des wachsenden Drucks wurden Stuttgarter Pressekonferenzen zuletzt immer mehr zu Slapstick-Veranstaltungen, bei denen sich Veh und der Rheinländer Heldt verbal die Bälle zuspielten.

«Ich wäre gerne Spieler bei Armin», sagte Heldt einmal und bekam ob seines beginnenden Bauchansatzes Vehs volle Breitseite ab: «Das hast du auch nötig.» In der täglichen Trainingsarbeit auf dem Platz hält sich Generalist Veh zurück, überlässt die Anweisungen Co- Trainer Alfons Higl und Konditionscoach Christian Kolodziej. Mit verschränkten Armen aus der Ferne gewinnt er Erkenntnisse für so manche Mannschaftsaufstellung. «Er ist eher der ruhige Typ, setzt auf Eigenverantwortung und darauf, dass die Jungs nach dem Training noch einmal 20 Flanken von sich aus schlagen», berichtet Torwart Timo Hildebrand.

Aberglaube ist wie so oft im Profifußball auch bei Veh extrem ausgeprägt. Ins Spiel geht er mit einem Dreitage-Bart, vor dem Anpfiff muss ihm ein Betreuer immer die gleiche Trinkflasche in die Hand drücken. Sein bester Glücksbringer hat nun endgültig ausgedient: Der graue Anzug soll für einen sozialen Zweck versteigert werden. Das gute Stück wurde in den Bier- und Champagnerduschen völlig ruiniert.

dpa, 20.05.2007  © 2007 Financial Times Deutschland

 

 

VfB Stuttgart - Ein Schwabenmärchen in Rot-Weiß

 

"Die WM war ein Dreck dagegen": Die Stuttgarter überraschen sich selbst und den Rest der Republik mit einer meisterlichen Fußball-Feier.

Vor dem Neuen Schloss in Stuttgart steht ein grüner Lastwagen der Polizei. Ein paar Beamte sitzen darin vor sechs Monitoren. Sie sehen Fahnen, Schals und Meisterschalen auf den Bildschirmen und sprechen in ihre Funkgeräte.

Sie haben einen guten Überblick auf das Geschehen in der Stadt und müssen doch erkennen, dass die Lage nicht zu kontrollieren ist. Sie versuchen, etwas Ordnung in das Durcheinander zu bringen, den Autokorso der Mannschaft durch die Massen zu leiten, eine andere Route zu finden. Aber eigentlich haben sie schon aufgegeben. ,,Die WM war ein Dreck dagegen‘‘, sagt ein Polizist.

Während der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer wurde Deutschland von sich selbst überrascht, von einem fröhlichen Land mit fröhlichen Menschen. An diesem Wochenende wundern sich manche in Stuttgart und in Deutschland, was die oft als etwas verdruckst geltenden Schwaben da in ihrer Landeshauptstadt veranstalten.

Eine Stunde, so hatten die Organisatoren errechnet, sollten die Cabrios brauchen, um die Spieler des VfB Stuttgart die sechs Kilometer vom Stadion in die Innenstadt zu bringen. Nach mehr als drei Stunden kommen die Fußballer schließlich an und sehen etwas mitgenommen aus.

Sie haben viel zu trinken bekommen, die Fans haben ihnen ihre Becher und Flaschen gereicht, zu essen aber gab es nichts. ,,Ich wusste gar nicht, dass Stuttgart so viele Einwohner hat‘‘, sagt Roberto Hilbert, der Mittelfeldspieler. Bis zu 200.000 sollen es gewesen sein, die am Samstag unterwegs waren.

Bei der letzten Meisterschaft vor fünfzehn Jahren mussten die Fans noch weit draußen vor dem Stadion feiern. Der Titel kam damals überraschend in letzter Minute, und der Platz vor dem Rathaus war durch einen Flohmarkt belegt, den man nicht absagen wollte. In diesem Jahr wollte es die Stadtverwaltung besser machen - und machte sich doch fast wieder lächerlich.

Die Meisterfeier plante sie schon recht früh und mit großem Elan, weigerte sich aber, auf dem Schlossplatz eine Leinwand aufzustellen und das Spiel zu übertragen. Zu teuer, sagten die Verantwortlichen einer Stadt, die keine Schulden plagen. Die Fans revoltierten, weil Fußballgroßereignisse ohne Public Viewing seit der WM undenkbar sind. Schließlich bezahlte Daimler. Die Stadt dachte nun eigentlich, sie sei gut vorbereitet.

 

,,Der VfB ist mein Leben‘‘

Gegen 13.30 Uhr am Samstag muss die Polizei den Schlossplatz wegen Überfüllung schließen, 50 000 stehen in der Hitze vor der Leinwand, und die Straßenbahnen karren aus allen Richtungen noch mehr Menschen heran, die dann nicht so recht wissen, wo sie nun hin sollen. Die ganze Innenstadt färbt sich Rot-Weiß. Vor dem Stadion stehen die Fans im Schatten der Bäume. Es ist erstaunlich, wie wenig Lärm so viele Menschen machen können. Sie trinken Bier und reden wenig. Viele sehen sehr konzentriert aus.

Kerstin Döring hat die ganze Woche kaum geschlafen und wenig gegessen. ,,Der VfB ist mein Leben‘‘, sagt sie. So etwas hört man von vielen Fans, aber Kerstin Döring hat tatsächlich ihr ganzes Leben verändert für diesen Verein. Es begann im Ruhrgebiet, in Duisburg, wo 1988 ,,Jürgen Klinsmann in mein Leben trat‘‘, wie sie sagt.

Klinsmann spielte damals beim VfB, und so wurde Döring, heute 32, ein Fan der Mannschaft. Sie reiste viele Kilometer zu den Spielen, aber vor zwei Jahren hielt sie die Fernbeziehung nicht mehr aus und zog nach Stuttgart.

Das Verhältnis zur Mutter kühlte sich ab: Die ist Schalke-Anhänger und versteht ihre Tochter nicht, die Vorsitzende ist des Fanclubs Ruhrpottschwaben mit 27 Mitgliedern. Einerseits, sagt Kerstin Döring, täten ihr die Schalker etwas leid. Andererseits habe der Verein seine Arbeiter-Identität verkauft und versuche, mit vielen Millionen den Titel zu bekommen. ,,Der VfB ist authentischer, hat viele junge Spieler aus der Region.‘‘

 

Um 17.18 Uhr ist der Verein für Bewegungsspiele Stuttgart Deutscher Meister. An den Fanshops werden die Kisten mit den Sieger-T-Shirts ausgepackt und für 15 Euro verkauft. Im Stadion wird gefeiert, aber jeder ist noch für sich: die Fans hinter den Zäunen, die Spieler auf dem Rasen. Die ersten Anhänger machen sich auf den Weg in die Innenstadt, Straßenbahnen fahren nicht mehr, die Menschen sperren die Straßen, noch bevor es die Polizei tun kann.

In einem Straßentunnel sitzen etwa 500 Fans auf dem Boden und singen ihre Lieder, die von den Wänden zurückhallen wie bei der Andacht in einer großen Kirche. Manche haben ein Bier in der Hand, aber der Rausch kommt nicht davon. An den Straßen bilden sich Spaliere, als ob die Radler der Tour de France vorbeikämen. Die Mannschaft fährt schließlich in Mercedes-Cabrios vorbei, man kann sie anfassen, die Spieler und die Schale.

 

Wenn Spielerfrauen warten

Im Neuen Schloss gibt es eine große Treppe hinauf zum Marmorsaal, wo normalerweise Staatsgäste empfangen werden. Nun hat sich dort das Aktuelle Sportstudio eingerichtet. Auf der Treppe sitzen die Spielerfrauen und warten auf ihre Männer. Sie haben schöne Kleider an und posieren wie für ein Gruppenbild. Die Fotografen sind aber ganz woanders.

Kurz vor Mitternacht kommt der Torhüter Timo Hildebrand durch die Hintertür ins Schloss, er hat eine Abkürzung durch den Park genommen. Der ehemalige VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, den viele nicht in bester Erinnerung haben, stellt sich ihm in den Weg. Auch er hat einen starken Drang nach Berührung. Draußen steigt der Rest der Mannschaft aus den Autos und auf die große Bühne.

Die Fantastischen Vier spielen. Sie kommen eigentlich aus Stuttgart, aber drei von ihnen sind vor vielen Jahren weggezogen, dorthin, wo es aufregender sein soll. An diesem Abend allerdings haben sie sich ziemlich aufgedrängt, um hier aufzutreten. Man kann sich wieder sehen lassen in Stuttgart.

 

(Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 21.5.2007 - von Bernd Dörries)